RECHTSSTAATLAND -

UND SEINE SORGE FÜR DIE SCHUTZBEFOHLENEN

Ein modernes Märchen
Begebenheiten und Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
wären rein zufällig und sind keineswegs beabsichtigt!

 

KAPITEL II

GESCHWISTER SKRUPELLOS


Die NAIVE erlernte ein neues Handwerk und bei den Prüfungen vor den höchsten Gremien des Landes erlangte sie großes Ansehen und erhielt herfür allerhöchste Ehren. Die Melder trugen die frohe Kunde über ihre aufsehenerregende Klugheit weit über die Grenzen der Provinz hinaus ins ganze Land, sodass es ein Leichtes war, eine trefflich entlohnte Anstellung zu finden.

Nach vielen Monden, welche kaum noch überschaubar an Zahl, teilte ihr aber der Dienstherr mit, dass er in ein fernes Land ziehen und sein Lebenswerk aufgeben würde. Da erschrak die NAIVE ob dieser schlimmen Nachricht, ließ aber über die Melder verkünden, dass sie wieder frei zur Anstellung bei einem neuen Dienstherrn sei.

Auch ein WEIB, Teil der bekannten GESCHWISTER SKRUPELLOS aus der Nachbarstadt der NAIVEN erhielt herüber Kenntnis und sandte eine verlockende Offerte. In diesem Anerbieten sicherte es der NAIVEN zu, sie dürfe in den Diensträumen nach eigenem Gutdünken und ohne Einschränkung durch andere Mägde und Knechte frei schalten und walten, da man grenzenloses Vertrauen in sie und ihre Gewandtheit setze. Die NAIVE war geschmeichelt für derart große Wertschätzung und ob der in Aussicht gestellten, vielen Talerchen zur gerechten Entlohnung. Daher nahm sie das Angebotene ohne Argwohn dankbar an und gelobte, dem in sie gesetzten Vertrauen täglich gerecht zu werden.

Bereits am ersten Arbeitstag in der neuen Stadt, fühlte die NAIVE, dass man sie mit falscher Zusicherung angelockt hatte. Eine Magd mit Namen NEIDERIN sollte die NAIVE in ihre neue Arbeit einführen, stattdessen steckte diese jedoch alle Tatkraft in die Verunglimpfung der vermeintlichen Konkurrentin und zum Erreichen ihrer intriganten Ränke war ihr jedes Mittel recht. Erfüllt von rasender Eifersucht bangte sie um ihr eigenes Ansehen bei den GESCHWISTERN SKRUPELLOS, im Besonderen um die Gunst des heimlich geliebten HERRN des Geschwisterpaares. Zu groß war noch die erlittene Schmach, welche sie damals in der Blüte ihrer Jugend einstecken musste, als sie um die Gunst des HERRN der GESCHWISTER SKRUPELLOS buhlte. Ob ihrer unscheinbaren Gestalt hatte dieser sie einfach gemieden und sich einer wohlgeformten, hübscheren Magd zugewandt, die er rasch zur Gefährtin wählte. Da die NEIDERIN zusammen mit dieser Magd ihre tägliche Arbeit verrichten musste, wurde sie durch das stete Aufeinandertreffen von Missgunst und Eifersucht schier zerfressen.

Nach all dieser erlittenen Demütigung ward nun die NAIVE mit Anpreisung wahrer Wundertaten durch die GESCHWISTER SKRUPELLOS eingeführt und ob des überschwänglichen Lobes für die neue, verhasste Konkurrentin entwickelte die NEIDERIN einen frevlerischen Plan, um diese alsbald wieder loszuwerden. Eine weitere Schmach würde sie nicht ertragen, zu sehr schmerzten die Narben der Vergangenheit, welche nun erneut aufzubrechen drohten. Sie witterte Gefahr, das wenige, hart erkämpfte Ansehen ihrer eigenen Dienste zu verlieren und dadurch für immer aus der Nähe des heimlich geliebten HERRN der GESCHWISTER SKRUPELLOS verbannt zu werden.

Die NAIVE blieb tapfer und ignorierte die bösen Anfeindungen. Sie arbeitete viele Sonderzeiten, auch wenn alle anderen Mägde und Knechte bereits nach Hause gegangen waren. Selbst als die Mägde und Knechte ein rauschendes Fest feierten, blieb die NAIVE bis weit nach Sonnenuntergang bei ihrer Arbeit, welche nie ein Ende zu finden schien. Man hatte ihr bereits zu Beginn ihrer Dienste den Schlüssel zur Pforte gegeben, damit sie immer arbeiten könne, wenn ihr an freien Tagen etwas Zeit verblieb, da sie ja mittlerweile alleine und ohne Familie lebte.

So hoffte die NAIVE, dass die GESCHWISTER SKRUPELLOS zu erkennen vermochten, was die böse NEIDERIN trieb, zumal diese auch andere Weggefährten anschwärzte, um selbst im besten Lichte zu stehen. In maßloser Skrupellosigkeit vermeldete sie sogar das geistige Eigentum der Mägde und Knechte als das eigene bei den GESCHWISTERN SKRUPELLOS, um mit den fremden, bunten Federn ob der eigenen Blässe zu glänzen.

Wiederum vertraute die NAIVE auf ausgleichende Gerechtigkeit. Der Himmel würde alles richten und jeden ihrer Widersacher für seine Frevel bestrafen. Man würde zur gegebenen Zeit die bösen Ränke aufdecken, die üblen Verursacher in Halsgeigen an den Pranger führen und somit dem Spott und der Rache aller Geschädigten aussetzen.

Die Jahre gingen ins Land und die NAIVE hatte sich so gut eingearbeitet, dass nicht nur die GESCHWISTER SKRUPELLOS, sondern auch alle Mägde und Knechte, sowie die Erwerber der feil gebotenen Waren sie lieb gewannen. Alles hätte so schön sein können, wäre da nicht die böse, Ränke schmiedende NEIDERIN. Bereits zwei Male hatte die NAIVE sich ein Herz gefasst und die Intrigantin ermahnt, sie solle besser alle Kraft in ihre Dienste denn in Verunglimpfungen gegenüber den Dienstboten stecken, aber ob ihrer schlechten Wesensart sah diese keine Notwendigkeit eine Veränderung herbeizuführen. Die NAIVE glaubte noch immer, dass die NEIDERIN keinen großen Schaden anzurichten vermochte, da die GESCHWISTER SKRUPELLOS ihr immer wieder versicherten, wie lieb man sie gewonnen habe und wie sehr man ihr vertraue.
Doch das Falsch der Zusicherungen sollte sich sehr bald enthüllen und die
NAIVE in eine tiefe Betrübnis stürzen.

Es trug sich zu, dass ein großer LEHNSHERR das Erbe der GESCHWISTER SKRUPELLOS erwarb und die Geschwister zu seinen VASALLEN ernannte. Mit Anbruch des ersten Tages unter dem neuen LEHNSHERRn begann die gesponnene Intrige der NEIDERIN Früchte zu tragen. Die Mägde und Knechte waren verwundert ob der Macht, mit welcher die NEIDERIN seitens der GESCHWISTER SKRUPELLOS nun ausgestattet wurde. Offen sonnte sie sich Katzengold gleich im falschen Glanze und schmiedete immer üblere Ränke, um zusammen mit den GESCHWISTERN SKRUPELLOS den neuen LEHNSHERRN zu hintergehen. Einzig die NAIVE war nicht bereit, diese verwerfliche Hinterlist zu unterstützen. Sie verrichtete ihre Arbeit und wenn sie Bedenken wegen Verstoß gegen Handelsrecht und Ordnung hatte, wandte sie sich vertrauensvoll an den SYNDIKUS des neuen LEHNSHERRN. Besonders als man sie zwingen wollte einen durch Bann belegten Erwerber zu beliefern, erntete sie großes Lob durch den SYNDIKUS, während der HERR der GESCHWISTER SKRUPELLOS eine herbe Zurechtweisung erhielt. Bei den Vertretern des neuen LEHNSHERRN gewann sie durch ihre gewissenhafte Weise rasch an Ansehen und sah ungeachtet der lauernden Gefahr beruhigt in die Zukunft.

Doch dieser Vorfall beschied ihr Schicksal.

Die GESCHWISTER SKRUPELLOS setzten nun alle Kraft in das Loswerden der unbequemen NAIVEN, die durch ihr umfassendes Wissen über alle bisherigen, dunklen Machenschaften eine unberechenbar große Gefahr für sie und ihr Ansehen beim neuen LEHNSHERRN bedeutete. Zusammen mit der NEIDERIN, deren infame Intrigen bereits opulente Früchte zu tragen vermochten, schmiedete man einen perfiden Plan und begann diesen alsbald in die Tat umzusetzen. In ihrer Funktion als neue VASALLEN bürdeten nun die GESCHWISTER SKRUPELLOS der NAIVEN immer mehr Lasten auf, unter welchen sie scheitern und zerbrechen sollte. Heimtückisch gelobte ihr das WEIB der GESCHWISTER SKRUPELLOS Unterstützung durch eine weitere Magd für die Bewältigung der zusätzlichen Bürden, doch das Falsch des WEIBES zeigte sich, als die versprochene Magd zu einer anderen Kollegin abberufen wurde, während man der NAIVEN mit gleichem Tage weitere Lasten auferlegte. Viel zu spät erkannte die NAIVE das niederträchtige Wesen der NEIDERIN und das enorme Ausmaß des bereits durch sie verursachten Schadens. Hilflos stand sie den bösen Attacken der GESCHWISTER SKRUPELLOS gegenüber und sah ihre letzte Möglichkeit in der Flucht nach vorne, um die nahende Katastrophe abzuwenden.

Sie bat CASSUS, den Schreiber des neuen LEHNSHERRN um eine Unterredung, bei der sie alle auferlegten Bürden und zugleich die perfiden Intrigen eröffnen wollte. CASSUS galt als sehr weise und würde die abscheulichen Intrigen und schändlichen Verunglimpfungen erkennen, sodass die NAIVE sich nicht in die niederen Abgründe der NEIDERIN und der GESCHWISTER SKRUPELLOS begeben musste, um ihrerseits deren perfide Ränke gegen den neuen LEHNSHERRN ans Tageslicht zu befördern.

Am Tag der Unterredung war die NAIVE sehr aufgeregt, doch ob der vielen Bürden dieses Tages kam sie etwas verspätet zu dem vereinbarten Termin.
CASSUS erwartete sie bereits und sein feindseliges Gebaren ließ sie deutlich spüren, dass er nicht Willens war allzu viel Zeit für sie zu erübrigen.
Etwas eingeschüchtert begann die
NAIVE mit ihren Ausführungen und musste dabei erschrocken feststellen, dass CASSUS ihr nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkte. An seinen wenigen Einwänden erkannte sie, dass die Intrigen der NEIDERIN auch bei ihm auf fruchtbaren Boden gefallen waren und bereits eine reiche Ernte versprachen. Die GESCHWISTER SKRUPELLOS hatten mit Unterstützung der NEIDERIN das Ansehen der NAIVEN bei den Vertretern des neuen LEHNSHERRN derart in Verruf gebracht, dass es keine Handhabe auf ein Entgegenwirken mehr gab. Zu Ende der Unterredung gab ihr CASSUS noch einen Rat im Vertrauen, der allerdings eher als weitere Bedrohung gemünzt war:

Sie solle stets aufpassen, was sie tue oder sage, da überall Auge und Ohr der GESCHWISTER SKRUPELLOS offen standen und man alles in Erfahrung Gebrachte ihr zu Schaden kommen ließe.

Dieses enorme Ausmaß an perfiden Intrigen und Verleumdungen durch die NEIDERIN und das WEIB der GESCHWISTER SKRUPELLOS hätte sie nie für möglich gehalten. Jedoch erkannte sie darin deren Angst, die NAIVE könne den unfassbaren Lug und Betrug der GESCHWISTER SKRUPELLOS vermelden und somit den entstandenen Schaden aufdecken, welcher den Erwerbern der feil gebotenen Waren und den Steuereintreibern des Landesherrn zugefügt worden war. Man hätte aber nicht nur die beiden Geschwister in den Kerker geworfen und deren Habe eingezogen, auch dem neuen LEHNSHERRN drohte ein Prozess. Möglicherweise wäre bei Überprüfung der Geschäfte des Geschwisterpaares aufgedeckt worden, dass man beim Übergang des Betriebes zusammen unredliche Betrügereien vorgenommen hatte. Sofern nun die NAIVE vor den KADI zitiert würde, könnte der ganze Betrug durch ihre umfassende Kenntnis aller Gaunereien aufgedeckt werden.

Die NAIVE war wie gelähmt vor Schreck und Entsetzen ob dieser plötzlichen Erkenntnis. Eilends erledigte sie die Reste ihrer täglichen Bürden um sich hernach sofort in ihr schützendes Heim zu begeben.

Auf dem Nachhauseweg ereilte sie jedoch ein schlimmes Unglück und dadurch ward sie für sehr lange Zeit sehr krank. Ihr MEDIKUS sandte sie zu all seinen Kollegen, dass diese ihr Genesung verschaffen sollten, aber an Stelle von Genesung erhielt sie immer schlimmere Meldungen über die ganze Reichweite ihrer Krankheit. Dann erzählte ihr eine weise Heilerin von einem Ort, weitab in einem fernen Land, wo sich die NAIVE erholen und vollends genesen könne. Sie solle für eine lange Zeit ihr schützendes Heim verlassen, aber ohne Furcht und Bang, da ihr die Medici dieses Ortes Linderung aller Leiden verschaffen würden und sie dadurch zu neuer Kraft zu erstarken vermochte. Mit zagendem Herzen verließ die NAIVE ihre Provinz und reiste in das ferne Land, um sich den fremden Medici vorzustellen. Sie konnte nach allem Erlebten Niemandem mehr vertrauen und dies erkannten auch die Heiler im fernen Lande. Sie untersuchten die NAIVE und boten ihr an, die nächsten Monde an diesem geschützten Ort der Ruhe neue Kraft zu finden, welche ihr hilfreich zur vollkommenen Genesung sein würde. Die NAIVE nahm das angebotene Obdach dankbar an, zumal sie bereits zu schwach war, um alleine die Strapazen der weiten Heimreise auf sich zu nehmen.

Es dauerte geraume Zeit, bis sie Linderung ihrer Leiden verspürte, doch mit Besserung des körperlichen Befindens, waren auch die seelischen Leiden leichter zu ertragen. Mit jedem neuen Tag fühlte sie ein Erstarken und freute sich, bald wieder in ihr Heim zurückzukehren. Tapfer wollte sie auch den Kampf gegen die perfiden Intrigen bei ihrem Dienstherrn aufnehmen und so nahm sie pochenden Herzens Kontakt mit dem WEIB der GESCHWISTER SKRUPELLOS auf, um die frohe Botschaft ihrer baldigen Genesung zu überbringen. Mit bösen Worten sagte ihr dieses, dass man ihrer nicht mehr bedürfe, da man mittlerweile einen Ersatz fand und diesen bevorzugt behalten wolle. Der NAIVEN wurde es bang und traurig informierte sie über die Ablehnung ihrer Rückkehr das GEMEINWOHL, welches all ihre Medici entlohnte. Nahezu einen halben Mond versuchte das GEMEINWOHL mit dem bösen WEIB in Diskurs zu treten, doch dieses ließ sich verleugnen und schien gar vom Erdboden verschluckt. Dann übermittelte die NAIVE dem GEMEINWOHL den Namen einer anderen VASALLIN des neuen LEHNSHERRN und mit dieser kam man überein, dass die NAIVE nach Ablauf weiterer 2 Monde wieder an ihre Arbeit zurückkehren dürfe. Die NAIVE freute sich ob der guten Nachricht und suchte nun erneut nach einer Unterredung mit dem bösen WEIB der GESCHWISTER SKRUPELLOS, um die erlaubte Rückkehr zu beraten. Nach vielen vergeblichen Versuchen und dem Verstreichen eines weiteren, vollen Mondes gestattete ihr das WEIB ein Vorsprechen. Mit banger Vorahnung reiste die NAIVE zu dem vereinbarten Diskurs und ihre schlimmsten Befürchtungen wurden dabei noch übertroffen. Das zänkische WEIB offenbarte sein boshaftes Wesen mit herzlosen Worten und unerhörten Behauptungen, und als Gewähr für die Rechtmäßigkeit der bösen Anfeindungen nannte sie das Zeugnis der NEIDERIN. Ein ungeahnter Groll erfasst die NAIVE, nie hatte sie etwas Verwerfliches getan, weder Lug noch Trug unterstützt und nun sollte sie ob der Infamie einer NEIDERIN Schaden an Ruf und Existenz hinnehmen.

Zugleich erkannte die NAIVE, dass sie zu keiner Zeit schwach war, sondern im Gegenteil wie ein Phoenix mit jeder Wiedergeburt aus der Asche zu noch größerer Stärke zu erwachsen vermochte. Da beschloss sie, nie wieder naiv zu sein, sondern sich auf ihre neu gewonnene Kraft zu verlassen und nun als die WEHRHAFTE allen gegnerischen Intrigen zu trotzen. 

…UND DIE MORAL VON DER GESCHICHT'

 

LASS' DIE FINGER VOM SCHACH,

KENNST DU DIE REGELN NICHT!

WÄHLE DEIN BAUERNOPFER STETS MIT BEDACHT,

DAS FALSCHE,

DIE DECKUNG FÜR DEN SCHÄFERZUG FREIMACHT!

 

© Liane Porger


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